/ Die Zukunft von Customer Experience

KI ebnet den Weg zum vollendeten Komfort

Gebetsmühlenartig wiederholen Manager, dass ihr Unternehmen den Kunden in den Mittelpunkt stellt und das Kundenerlebnis an allen Kontaktpunkten („Touchpoints“) optimiert. Customer Experience und Kundenzentrierung gelten als Königsdisziplinen, mit denen sich Firmen von ihren Wettbewerbern differenzieren können. Und tatsächlich erwecken viele Firmen im täglichen Geschäft den Eindruck, als interessierten sie sich für die Bedürfnisse der Kunden. Auf Schritt und Tritt werden wir aufgefordert, per E-Mail oder SMS unsere Zufriedenheit auszudrücken oder anzugeben, wie schnell ein Problem gelöst worden ist. „Sollten Sie nach diesem Gespräch um eine Bewertung gebeten werden“, beschwört uns dann der Callcenter-Mitarbeiter, „würde ich mich über eine 10 sehr freuen.“ Nur: Das gesammelte Feedback der Kunden wird nur unzureichend in konkrete Verbesserungen umgesetzt: Überforderte Ansprechpartner, nervige Warteschleifen, unzureichende Online-Services und komplizierte Prozesse sind weiterhin an der Tagesordnung. Eigentlich sollte echtes Customer Experience Management da ansetzen, wo sich der Kunde gestresst und überfordert fühlt, wo die „Pain Points“ am größten sind. Aber leider tut es häufig noch ziemlich weh.

Unternehmen überschätzen ihre CX-Kompetenz dramatisch

Wie groß der Handlungsbedarf ist, wurde erstmals 2005 so richtig klar. Damals stieß die Unternehmensberatung Bain & Co. auf das so genannte „Experience Gap“, also die große Kluft zwischen behaupteter und realer Kundenzentrierung. Bain befragte die CEOs von rund 330 Unternehmen nach dem Stellenwert von Customer Experience in ihren Firmen. 80 Prozent von ihnen waren der Auffassung, herausragende Kundenerlebnisse zu bieten. Das aber konnten nur 8 Prozent der Kunden dieser Unternehmen bestätigen. Zwölf Jahre später führte Cap Gemini eine vergleichbare internationale Studie durch. Ergebnis: Nun gaben 75 Prozent der befragten Unternehmen an, kundenzentriert zu sein, was immerhin 30 Prozent ihrer Kunden bestätigen konnten. Das sieht auf den ersten Blick nach einer Verbesserung aus. Allerdings geht diese vor allem auf das Konto asiatischer Unternehmen, die in puncto Kundenzentrierung deutliche Fortschritte gemacht haben. Insbesondere in Großbritannien, Frankreich und Deutschland hat sich dagegen so gut wie nichts getan. Hier stehen, so die Marktforscher, für das Top-Management in Unternehmen nach wie vor die Entwicklung und Vermarktung der Produkte im Mittelpunkt – nicht der Kunde.

Amazon und Apple setzen unbequeme Maßstäbe

Allerdings liegt die Messlatte für gute Customer Experience auch jedes Jahr höher – ein Effekt der Digitalisierung. Insbesondere Amazon und Apple waren hier von Anfang an wegweisende Innovatoren. Jeff Bezos und Steve Jobs haben zwei der wertvollsten Unternehmen der Welt erschaffen, weil sie leidenschaftliche Verfechter einer holistischen Customer Experience waren. Als Urväter haben sie diesen Begriff überhaupt erst mit Bedeutung geladen. Bezos sorgte für denDurchbruch des E-Commerce, indem er schon Mitte der 90er-Jahre die für den Kunden größte Hürde des Online-Bestellens abschaffte – die Versandkosten. Noch heute subventioniert Amazon den Versand von Produkten mit Milliardenbeträgen, nur um diesen „Pain-Point“ seiner Kunden zu beseitigen. 1995 führte Bezos Produktbewertungen ein, zwei Jahre später Empfehlungen – immer in der Absicht, dem Kunden die Entscheidung zu erleichtern. 1998 folgte „1-Click Ordering“, das einem der wichtigsten Prinzipien der Customer Experience folgt – der Minimierung der Schritte im Kaufprozess. Die Logik dahinter: Weniger Kontaktpunkte in einer Customer Journey verbessern in der Regel das Kundenerlebnis, alles geht schneller und komfortabler.

Und so trieb Bezos es weiter: Seit 2000 können auch andere Händler ihre Produkte auf dem Amazon Marketplace anbieten. Viele Fachleute schüttelten zu diesem Zeitpunkt den Kopf: Warum holte sich Amazon den Wettbewerb auf die eigene Plattform? Doch genau dieser Schritt war einer der smartesten Schachzüge von Bezos: Die größtmögliche Produktauswahl (2 Millionen Artikel im Kernsortiment!), günstige Preise, die beste Customer Experience – genau das war und ist der Cocktail für die erfolgreichste E-Commerce-Plattform der Welt. Weil die Kunden dort alles finden, suchen sie nicht mehr anderswo. Und laut einer Studie von Kantar wünschen sich 87 Prozent der jungen US-Amerikaner die Service-Qualität von Amazon auch von anderen Unternehmen. Da werden Benchmarks gesetzt, die nicht nur Amazons Wettbewerber, sondern auch andere Branchen mächtig unter Druck setzen.

Neben Bezos gehörte Steve Jobs zu den großen Innovatoren digitaler Customer Experience. Er wertete die Apple-Produkte nicht nur mit begehrenswertem Design und intuitiver Bedienbarkeit aus, sondern war geradezu davon besessen, Details an allen Kontaktpunkten zu perfektionieren. Auch Jobs fällte Unternehmensentscheidungen, die auf den ersten Blick irrational erschienen. Um Apple zu einer Luxusmarke zu machen, baute er ab 1999 eine eigene Ladenkette auf. Beobachter hielten das für einen großen Fehler: Apple solle sich lieber auf Produktentwicklung konzentrieren, bemängelten Analysten, die sich um die Zukunft der Aktie sorgten. Jobs dagegen wollte sicherstellen, dass die Menschen Apple-Produkte in einer besonderen Umgebung erleben können. Er meldete Patente für schwebende Treppen und viele weitere Details in den Stores an, die dort für das perfekte Markenerlebnis sorgten. Apple unterhält heute weltweit über 500 Filialen, die pro Jahr mehrere hundert Millionen Besucher willkommen heißen. In den USA machen die Apple Stores fast doppelt so viel Umsatz pro „Square-Feet“ wie Tiffany und sind damit die erfolgreichste Ladenkette der USA.

Wie misst man Kundenerlebnisse?

Obwohl die Musterbeispiele aus den USA und der große Handlungsbedarf bekannt sind, treiben die hiesigen Unternehmen die Optimierung ihrer Customer Experience nicht konsequent voran. Man muss nicht gleich wie Apple eine neue atemberaubende Ladenkette eröffnen, aber auch bei Kernthemen wie dem Antwortverhalten, den Problemlösungsprozessen, den Bestell- und Lieferprozessen oder bei Maßnahmen zur Kundenbindung ist viel Luft nach oben. Woran liegt das?

Zunächst muss man überhaupt wissen, wo die Verbesserungspotenziale liegen. Eine Herausforderung besteht darin, ein Experience-Management-System einzurichten, das auf verlässlichen Maßzahlen zur Qualitätskontrolle und Analyse basiert. Schließlich gilt es, viele Fragen zu beantworten: Erfüllen wir die Erwartungen unserer Kunden? Sind wir schnell im Service? Was genau empfindet der Kunde als schnell? Und lösen wir zuverlässig die Probleme des Kunden? Dazu benötigt man zweierlei Metriken: zur Messung der Kunden-Loyalität (Retention-Related Metrics) und zur Ermittlung der Effizienz von Serviceerlebnissen (Efficiency-Related Metrics). Zur erstgenannten Kategorie gehören unter anderem der beliebte Net Promoter Score (NPS), die Messung der Kundenzufriedenheit (CSAT), des Kundenaufwands (CES) und des Kundenverlustes (Customer Churn Rate). Zur zweiten Kategorie zählt man Metriken, die die Qualität und Schnelligkeit einer Problemlösung bei einem Servicefall beschreiben. Dazu gehören die Metriken „Lösung beim Erstkontakt“ (First Contact Resolution) oder die durchschnittliche Lösungszeit (Average Resolution Time). Für digitale Kontaktpunkte gibt es weitere Maßzahlen wie etwa Umwandlungsquoten (Conversion Rates) und vieles mehr.

Die Aufzählung zeigt: Customer Experience Management ist ein komplexes Unterfangen. Nicht zuletzt deshalb lautet die entscheidende Frage: Wie groß ist der ökonomische Gewinn, den ein Unternehmen aus der Optimierung der Customer Experience ziehen kann? Also dankt einem der Kunde das alles? Und wie sehr? Idealtypisch geht es darum, Customer Experience genau auszubalancieren: Strengt man sich zu wenig an, verschenkt man Umsatz, weil Kunden unzufrieden sind. Investiert man zu viel, übersteigt der Aufwand die dadurch erzielte Umsatzsteigerung. Leider fehlen bislang die analytischen Möglichkeiten, diese Aufgabenstellung mit verlässlichem Datenmaterial zu bewältigen. Und weil man nicht weiß, ob sich die Investitionen lohnen, lässt man gern die Finger davon.

Die gute Nachricht: Künstliche Intelligenz wird hier für mehr Sicherheit sorgen. Und sie wird ganz neue Möglichkeiten für begeisternde Kundenerlebnisse eröffnen.

Das Zeitalter des ultimativen Komforts bricht an

KI – da sind sich die Experten einig – beeinflusst Kundenerlebnisse in den kommenden Jahren massiv. Spracherkennung hat bereits 2017 den Durchbruch geschafft. Mit Alexa, Google Home und anderen Sprachassistenten etabliert sich eine neue Gerätekategorie in den Privathaushalten, die für neue komfortable Erlebnisse sorgen. Klicken ist out, Sprachassistenten sind in. Sie werden in Zukunft den Warenkorb von Verbrauchern zunehmend bestimmen. Maschinen werden selbstständig bei anderen Maschinen Produkte bestellen. Im Zeitalter des automatisierten Commerce werden wir gar nicht mehr wissen, wann wir was bestellt haben – oder besser gesagt: wann unsere elektronischen Assistenten das für uns getan haben. Der gesamte Prozess wird vereinfacht. In den USA laufen erste Tests, bei denen der Amazon-Bote die Produkte direkt in die Wohnung bringt, weil er den Code für das Türschloss kennt. Prime-Now-Kunden erhalten ihre Bestellungen teilweise schon innerhalb von zwei Stunden. Alles wird immer einfacher – der ultimative Komfort.

Spracherkennung wird auch das Messen der Kundenerlebnisse revolutionieren. Endlich kann das Ermitteln von Bewertungen deutlich bequemer und ohne lästiges Ausfüllen von Formularen erfolgen. Und vor allem: Mit KI wird es einfacher, den ökonomischen Effekt von Customer Experience zu ermitteln.

In diesem Zusammenhang ist die größte Akquisition in der Geschichte des deutschen Technologie-Vorzeigeunternehmens SAP wegweisend. SAP übernimmt das Experience-Management-Unternehmen Qualtrics für sage und schreibe 8 Milliarden US-Dollar – ein Preis, der in etwa dem 20-fachen Umsatz des Unternehmens aus Utah entspricht. SAP hat mit Hilfe von Qualtrics vor, „O-Data“ (die Welt der operativen Daten eines Unternehmens) und „X-Data“ (Experience-Daten) intelligent in Echtzeit zu verknüpfen, um optimale Kundenerlebnisse zu liefern. Nach eigenen Angaben laufen weltweit bereits 77 Prozent aller operativen Unternehmensdaten über SAP-Systeme. Die Verbindung mit Experience-Daten macht es möglich, komplexe Wechselwirkungen zu erkennen: Führt verbesserte Kundenzufriedenheit nachweisbar zu mehr Bestellungen? Wird der Warenkorb größer? Oder reduziert sich der Serviceaufwand und damit Kosten ? Was hat eine bestimmte Investition eingebracht? Diese hochrelevanten Fragen, die bislang die Weiterentwicklung der Customer Experience gehemmt haben, wird man künftig beantworten können.

Auch die Experience der Mitarbeiter rückt in den Fokus

Die Qualtrics-Akquisition eröffnet für die SAP-Welt aber noch weitere Möglichkeiten. Denn warum nur Erlebnisse und Erfahrungen der Kunden erfassen? Im verschärften „War for Talent“ sind auch zufriedene Mitarbeiter äußerst wichtig, zudem verbessert sich damit das Klima im Unternehmen. In Deutschland gehört Adidas zu den Pionieren, die schon heute konsequentes Employee Experience Management betreiben. Adidas fragt kontinuierlich an wichtigen Kontaktpunkten in der Beziehung zu seinen Mitarbeitern ab, wie zufrieden diese bei Adidas sind, wie „angekommen“ sie sich fühlen. Weiterhin werden monatlich 25.000 Office-Worker durch den „People Pulse“ befragt. Mit modernen, digitalen Methoden wird der Gesundheitszustand der Adidas-Kultur komfortabel ermittelt. Dazu ist es nicht mehr notwendig, Bögen mit 90 Fragen zu beantworten, deren Auswertung Monate dauert. Fünf bis sieben kurze Fragen – häufig mit Freitext-Antworten – reichen, um die Wünsche, Sorgen und Zufriedenheit der Mitarbeiter zu kennen. Im nächsten Schritt bindet Adidas Mitarbeiter der weltweit 2500 Stores an das System. Damit ist die Basis für ein holistisches Experience Management gelegt.

Durch KI unterstützte Systeme wie das von Qualtrics, ermöglichen es in einem zweiten Schritt, die Daten des Employee Experience Management mit den operativen Kennzahlen und der Qualität der Customer Experience in Beziehung zu setzen. So lässt sich erkennen, inwiefern sich die Zufriedenheit der Mitarbeiter auf den wirtschaftlichen Erfolg und auf den Kontakt mit den Kunden auswirkt.

Mit KI und einer progressiven Datenstrategie ist die Zeit des Blindflugs vorbei. Wir können nun Zusammenhänge erkennen, die man bislang nur erahnen konnte. Damit gibt es auch keine Entschuldigung mehr, sich nicht intensiv mit einem umfassenden Experience Management zu beschäftigen. Fest steht auf jeden Fall: Mutige Unternehmen werden mit KI für Kundenerlebnisse sorgen, mit denen die Latte noch einmal höher gelegt wird. Es lohnt sich, in die Sprungkraft zu investieren.