/ Kann Apple seinen Abstieg noch stoppen?

Die Kultmarke leidet unter schwacher Führung und hat sich zu stark auf Hardware konzentriert. Jetzt hilft nur noch eine beherzte Übernahme.

Was war das für ein magischer Moment, als Steve Jobs 2007 das iPhone vorstellte. Die Welt hing an seinen Lippen, als der charismatische Apple-Gründer in die Präsentation einstieg und geschickt die Spannung steigen ließ:

„Every once in a while, a revolutionary product comes along that changes everything. In 1984, we introduced the Macintosh. It didn‘t just change Apple. It changed the whole computer industry. In 2001, we introduced the first iPod…. It changed the way we all listen to music. Well, today, we’re introducing three revolutionary products of this class: a widescreen iPod with touch controls, a revolutionary mobile phone and a breakthrough internet communications device.”

Er wiederholte diesen Satz zweimal, es folgte eine kleine Pause. Dann fragte er:

„Are you getting it? These are not three separate devices, this is one device, and we are calling it iPhone.“

Eine brillante Keynote für ein brillantes Produkt – das war genau der Steve Jobs, den wir damals so bewunderten. Er sollte uns auch später nicht enttäuschen: Obwohl bereits von schwerer Krankheit gezeichnet war, glänzte er abermals 2010 bei der Einführung des iPads. Und kurz vor seinem Tod war er sich sicher, die Formel entwickelt zu haben, mit der Apple das Fernsehen neu erfinden könnte. Dazu sollte es leider nicht mehr kommen.

Steve Jobs verfügte mit Ausstrahlung, Selbstsicherheit und Kompetenz über eine gewaltige Überzeugungskraft. Er elektrisierte die Massen und katapultierte Apple in neue Dimensionen. Der Konzern wurde zum Superlativ der Branche. Eine Tech-Luxusmarke, der man zutraute, den gesamten Lebensalltag der Menschen zu revolutionieren.

Seit der Einführung des iPhones hat sich Apples Umsatz auf über 260 Milliarden US-Dollar verzehnfacht. Die Liquidität des Unternehmens hat eine ähnlich schwindelerregende Höhe erreicht – man schwimmt quasi im Geld. Spätestens mit der Bekanntgabe der Geschäftszahlen für das letzte Geschäftsquartal wurde jedoch klar, dass der Höhenflug zu Ende ist. Und die Zeichen mehren sich, dass Jobs‘ Nachfolger Tim Cook kein Rezept hat, um das zu ändern. Was ist passiert?

Müde Cash-Cow: Das iPhone stößt an seine Grenzen

Das iPhone ist das vielleicht erfolgreichste Einzelprodukt aller Zeiten. Seit Jahren erzielt Apple damit mehr als 60 Prozent seiner gigantischen Erlöse. Der Verkaufspreis wurde sukzessive erhöht, von ursprünglich 500 US-Dollar auf heute 1449 US-Dollar für das Spitzenmodell. Im ersten Geschäftsquartal 2019 zeigte sich jedoch, dass selbst die Anziehungskraft der Marke Apple an ihre Grenzen stößt. Der Absatz des Flaggschiffs brach um 15 Prozent ein, Apple konnte zum ersten Mal seit vielen Jahren die Umsatzprognose nicht erfüllen. Der hohe Stellenwert des iPhone erweist sich jetzt auch als Belastung, denn Smartphone-Nutzer greifen nicht mehr so schnell nach neuen Geräten. Wurde ein Gerät in den Anfangsjahren alle zwei Jahre durch ein Neues ersetzt, geschieht das heute im Schnitt nur noch alle 37 Monate. Vor diesem Hintergrund scheint es keine erfolgversprechende Wachstumsstrategie mehr zu sein, die iPhone-Produktfamilie wie gehabt zu erweitern und die Preispunkte weiter anzuheben.

Abhilfe könnten attraktive Innovationen schaffen, aber die Analysten rechnen auch beim nächsten iPhone nicht mit bahnbrechenden Überraschungen. Die kommen stattdessen von der asiatischen Konkurrenz, angeführt von Samsung und Huawei. Samsung hat voller Selbstbewusstsein sein neues Modell Galaxy Fold vorgestellt, das die Ära der faltbaren Smartphones einläuten soll. Die Präsentation fand symbolträchtig im legendären Bill Graham Auditorium in San Francisco statt, an jenem Ort also, an dem Steve Jobs der Welt das iPhone erklärt hat. Die neuen Geräte des südkoreanischen Konzerns erreichen durch Aufklappen die Größe eines iPads und könnten künftig die Tablets ersetzen. Von Apple erwarten die Experten ein vergleichbares Produkt erst in ein bis zwei Jahren.

Tim Cook: als CEO zu unsicher und spröde?

Eine weitere Ursache für die Krise dürfte in der Führung des Konzerns liegen. Tim Cook war viele Jahre lang ein treuer und verlässlicher Weggefährte von Steve Jobs. Als Chief Operating Officer verpasste er Apple die richtigen Strukturen und Prozesse, um das gewaltige Wachstum operativ zu bewältigen. Aber ganz oben, als CEO einer der begehrtesten Marken der Welt, muss er mehr können. Da sind zusätzliche Qualitäten gefragt, die Cook nicht ausreichend besitzt: Kreativität und Charisma. Cook wirkt im Gegensatz zu seinem Übervater scheu, unsicher und spröde, besonders bei Auftritten vor großem Publikum. Er ist kein Macher oder Inspirator, eher ein Integrator, der seinem Team die Bühne überlässt. Doch dort halten sich die, die es besser könnten, zurück. Jonathan Ive etwa, der brillante Chief Creative Officer, meidet leider den öffentlichen Auftritt und meldete sich bei der Einführung neuer Apple-Produkte lieber in Produktvideos zu Wort.

Schwerer wiegt aber, dass Cooks strategische Pläne nicht aufgehen. Eigentlich sollte die Einführung der Apple Watch 2014 zu seinem Ritterschlag werden. Über sie wollte er Apple endgültig zu einer Luxusmarke formen. Eigens dafür wurde die frühere Burberry-CEO Angela Ahrendts als Chefin der Apple-Ladenkette verpflichtet. Die britische Edelmarken-Expertin strich im ersten Jahr ein Gehalt von über 70 Millionen US-Dollar ein – und damit deutlich mehr als ihr oberster Dienstherr Tim Cook selbst. Dafür sollte sie die die Apple-Stores mitsamt E-Commerce auf Luxus-Niveau mit herausragender Customer Experience hieven. Um den Anspruch zu unterstreichen, wurden sogar Editionen der Apple Watch in 18-Karat-Gold eingeführt.

Der gewünscht Erfolg blieb jedoch aus. Apple hatte den Bogen in Sachen Preisgestaltung überspannt, die Apple Watch entsprach nicht den hohen Erwartungen des Marktes. Nach rund fünf Jahren an der Spitze von Apple Retail stieg Ahrendts Anfang 2019 überraschend aus – die Frau, der man anfangs sogar die Nachfolge von Cook zugetraut hatte. Für ihn war es ein Fiasko. Nun führt Deirdre O’Brien die mit 70.000 Mitarbeitern größte organisatorische Einheit Apples. Sie ist seit 30 Jahren an Bord und war viele Jahre für Cook in der Personalentwicklung tätig.

Abgeschlagen auf eigenem Terrain

Der Apple-CEO hat mit weiteren Baustellen bei wichtigen Produkten zu kämpfen. Sprachassistenten etwa sind eigentlich eine Produktkategorie, in der Apple technologischer Vorreiter sein müsste. Denn genau hier liegt doch die Kernkompetenz der Marke: Menschen durch intuitive Bedienung und herausragendes Design für technologische Produkte begeistern. Apple hat das so lange erfolgreich vorexerziert, in den 80er-Jahren mit der Einführung der PC-Maus für den PC, später mit dem berührungsempfindlichen Bildschirm des iPhone. Nun markiert Sprachsteuerung den nächsten Evolutionsschritt in der Bedienung von technischen Geräten, die den Lebensalltag von Menschen bestimmen. Aber die Welt spricht nicht über Siri, sondern über Alexa. Amazon lancierte mit dem Echo seinen Smart-Speaker zwei Jahre vor Apple und dominiert die Produktkategorie mit großem Abstand – für Cook und seine Mannschaft nicht weniger als eine Demütigung.

Da verwundert es nicht, dass der Kopf des Sprachassistenten-Teams, Bill Stasior, seinen Platz räumen musste. Nun soll es ein ehemaliger Google-Manager richten. John Giannendrea wurde im April 2018 als Chef für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz verpflichtet. Acht Monate später berief Cook ihn sogar als Senior Vice President in das höchste Führungsgremium. Giannendrea greift nicht nur beim strategisch wichtigen Siri-Team durch, sondern räumt auch beim Thema Autonomes Fahren auf. Ursprünglich hatte Apple die Entwicklung eines Fahrzeugs samt autonomer Technologie geplant, Projektname Titan. Tausende Mitarbeiter waren zeitweise für das ambitionierte Projekt eingespannt. Nun spricht Apple nur noch davon, KI für Produkte jenseits von Fahrzeugen einsetzen zu wollen. Rund 200 Experten, die für Titan tätig waren, haben den Konzern bereits verlassen. Und viele Apple-Entwickler widmen sich nun anderen Projekten. All das klingt nach Rückzug, nicht nach Aufbruch. Giannendrea strukturiert um und versucht, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Der Schwenk kommt spät – sehr spät, wenn man sich vor Augen führt, welche Anstrengungen Amazon, Google, Microsoft, Facebook und andere in puncto KI unternehmen.

„Software ist eating the world“

Aber wo liegt das Hauptproblem von Apple? Der renommierte Erfinder und Investor Marc Andreesen provozierte 2011 mit der These, dass nicht Hersteller von Hardware, sondern die Unternehmen mit der größten Softwarekompetenz die Märkte der Zukunft dominieren werden. Heute könnte man hinzufügen: und zwar die, die Künstliche Intelligenz beherrschen. Im Gegensatz zu Google, Amazon oder Microsoft verdient Apple aber nach wie vor das meiste Geld mit Hardware. Dieser Fokus, begründet und verfestigt durch den Erfolg des iPhones, hat Apple den Einstieg in das KI-Zeitalter verpassen lassen. Die besagten Konkurrenten geben den Ton an bei spannenden neuen Themen wie Cloud-Services und Sprachassistenten. Und sie sind Apple in der Anwendung und in der Weiterentwicklung der Universaltechnologie KI überlegen.

Es sieht leider überhaupt nicht danach aus, als könne Apple noch mit hauseigenen Ressourcen aufholen. Der Konzern muss sich ein Herz fassen und die Hand nach Unternehmen ausstrecken, die eine Diversifikation in neue Bereiche ermöglichen. Mit einem Cash-Polster von 250 Milliarden US-Dollar ist Apple in der Lage, Unternehmen wie Tesla oder Netflix zu übernehmen. Damit würde sich Apple nicht nur breiter aufstellen und in zukunftsträchtige Märkte vordringen, sondern hätte auch Zugriff auf visionäre Führungskräfte und frische Talente. Die beeindruckende Erfolgsgeschichte von Apple muss noch nicht zu Ende sein. Aber es wird höchste Zeit, das nächste Kapitel anzugehen.