/ Bündelt die Kräfte!

Man muss kein notorischer Pessimist sein, wenn es einem um die deutsche Automobilindustrie angst und bange wird. Kurz vor Weihnachten erschien in der „Wirtschaftswoche“ ein Beitrag, der einmal mehr Befürchtungen bestätigte.

Ausgerechnet Audi soll für Porsches Elektromobil Taycan die Software für den wichtigen Stauassistenten liefern – also die Ingolstädter Konzernschwester, die zuletzt vor allem mit negativen Schlagzeilen auffiel und in den vergangenen fünf Jahren viermal den Entwicklungsvorstand austauschte. Ein Stauassistent ist eine Basisfunktionalität auf dem Weg zum autonomen Fahren, anspruchsvoll, aber kein Hexenwerk – wer das nicht beherrscht, braucht beim Thema Zukunftstechnologie erst gar nicht die Hand zu heben.

Dennoch ist Audi offenbar nicht in der Lage, das wichtige Softwaremodul pünktlich zum Marktstart zur Verfügung zu stellen. Es ist schon bizarr: Die Zugehörigkeit zum VW-Konzern bringt Porsche keine Vorteile, sondern entpuppt sich möglicherweise als Bremsklotz. Dabei hat Konzernchef Oliver Blume auf einem Neujahresempfang betont, dass die Zukunft von Porsche auch und gerade vom Erfolg des Taycan und dem damit verbundenen Einstieg in die Elektromobilität abhängt.

Dabei sieht eigentlich alles versprechend aus: Schon die Studie im Vorfeld des Taycan glänzte mit modernstem Design. Zudem verspricht Porsche eine Reichweite von rund 500 Kilometern und ermöglicht das Laden von 100 Kilometern Reichweite innerhalb von vier Minuten. Die Akkus sollen im Schnell-Lademodus innerhalb von 15 Minuten aufgeladen sein. Die Einstiegsvariante des Taycan wird zu einem Preis von rund 90.000 Euro erhältlich sein – kein Schnäppchen für den Massenmarkt, aber endlich eine ernst zu nehmende Kampfansage an Tesla. Die Vorbestellungen übertreffen die Erwartungen. Fatal also, wenn Porsche über die Lieferschwierigkeiten von Audi stolpern sollte.

Tesla blamiert die deutschen Entwickler

Eine Verzögerung des Taycan-Starts würde auch deshalb schwer wiegen, weil die deutschen Autohersteller in puncto Elektromobilität ohnehin aktuell nur die Rücklichter von Tesla sehen. Man mag vom Exzentriker Elon Musk halten, was man will – er treibt die Dinge aber voran, er gestaltet. Wie zeigt sich Musks Durchsetzungskraft? Als in der Tesla-Anfangszeit Lotus als ursprünglicher Karosserielieferant keine ausreichende Qualität bot und die Batterieproduzenten nicht wunschgemäß liefern konnten, entschied er genau zum richtigen Zeitpunkt, die entscheidende Technologie selbst zu entwickeln. Diese konsequente Haltung brachte ihn mehrmals an den Rand des Ruins, was ihn aber nicht davon abhielt, weiterzumachen und große technologische Barrieren zu überwinden. Tesla-Design ist beliebt, und obgleich die Zellen der Tesla-Akkus von Panasonic kommen, haben Tesla-Ingenieure die typischen thermischen Probleme von Lithium-Ionen-Akkus beseitigt. Damit stellt der kalifornische Autobauer eine überlebenswichtige Funktionalität seiner Elektrofahrzeuge sicher – eine für Konsumenten akzeptable Reichweite.

2018 stand dann die Meisterprüfung für Tesla und Musk an: Das für die breite Masse gedachte Modell „3“ musste, in guter Qualität, tatsächlich auch in Massen produziert werden. Viele deutsche Experten zweifelten daran, dass Musk mit seinem Team Fahrzeuge in hoher Stückzahl bauen konnte. Musks Eskapaden nährten die Vermutung, dass der südafrikanische Daniel Düsentrieb nun scheitern würde. Das tat er nicht, im Gegenteil: Tesla übertraf die Erwartungen der Analysten und wies obendrein im abgelaufenen Geschäftsquartal noch ordentliche Profite aus. Scheinbar braucht es die Macher-Mentalität eines Elon Musk, damit aus Visionen marktreife Innovationen werden.

Es ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass ein deutscher Premiumhersteller zeitgleich mit milliardenschweren Investitionen den Schritt in die Elektromobilität wagte: BMW gründete 2010 die Produktlinie BMW i mit Innovationen wie einer leichten und sehr verwindungssteifen Karbonkarosserie. Leider enttäuschte der i3 zum Start mit einer Reichweite von nur rund 200 Kilometern und einem Design, das nicht gerade Freude am Fahren vermittelte. Zudem war der Ursprungspreis von rund 35.000 Euro für einen Kleinwagen happig. Ja, es war eine technische Meisterleistung, eine Karbonkarosserie zu verbauen – aber leider interessieren sich potenzielle Käufer viel mehr für Reichweite, schnelle Ladezeiten und das Design ihres Elektroautos. Auch wenn BMW es nicht offen eingestand: Die i-Produktlinie erwies sich leider als fataler Flop für den deutschen Premiumhersteller – ein Flop, der symptomatisch für die bisherigen Versuche deutscher Hersteller steht, endlich Akzente in der Elektromobilität zu setzen.

Deep Learning wird Schlüsseltechnologie für autonomes Fahren

Aber Elektromobilität ist nur eins der beiden Felder, indem die deutschen Hersteller den Anschluss verlieren könnten. Das andere – noch weitaus wichtigere – ist das autonome Fahren. Hier versucht unter anderem Daimler mit Unterstützung von Bosch dem Schicksal zu entgehen, reiner Hardware-Lieferant für die Systeme anderer zu werden. Denn die Software wird das Gehirn autonomer Fahrzeuge sein. Können deutsche Premiumhersteller hier tatsächlich mithalten? Leider sind Zweifel angebracht.

Worum geht es genau? Deep Learning ist als Unterkategorie des Maschinellen Lernens eine Schlüsseltechnologie der Künstlichen Intelligenz (KI), vielleicht die bedeutendste technologische Errungenschaft der letzten 50 Jahre. Experten vermuten, dass es die Wirtschaftswelt massiv verändern wird und eine Monopolisierung forciert: Google beschäftigt aktuell rund die Hälfte der erfahrensten Wissenschaftler und Ingenieure im Bereich Deep Learning. Allein den Kauf des 25 Personen starken Deepmind-Kernteams, das mit der Eigenentwicklung AlphaGo einen der weltbesten Go-Spieler schlug, ließ sich Google 2014 über 500 Millionen US-Dollar kosten. Deep-Learning-Experten gehören zu den gefragtesten Fachleuten der Welt, ihre Gehälter liegen laut „New York Times“ häufig in den Regionen der Superstars im Sport.

Noch einige Kennzahlen, um die Größenverhältnisse zu illustrieren: Allein das Forschungsbudget Googles im Bereich Künstliche Intelligenz ist laut Aussagen von Experten doppelt so hoch wie alle KI-Förderprogramme der USA zusammengenommen. Da wundert es nicht, dass die Google-Tochter Waymo bereits seit 2009 Softwaretechnologie zum autonomen Fahren entwickelt. In den ersten sechs Jahren legten Waymo-Fahrzeuge rund 1.500.000 Testmeilen zurück, allein 2017 waren es 350.000 Meilen. Zum Vergleich: Daimler kam im selben Jahr auf nur 2500 Meilen. Zu ihrer Entlastung gaben die Daimler-Forscher an, dass Waymo einen Großteil der Fahrten auf geraden Strecken absolvierte. Gleichwohl mussten sie Google Respekt zollen: „Was Waymo heute kann, ist beeindruckend.“

Daimler hat sich auch – neben Bosch, Continental und vielen internationalen Partnern – dem Apollo-Projekt von Baidu angeschlossen. Der chinesische Suchmaschinenriese will das Android der Automobilindustrie werden und ein komplettes Open-Source-Ökosystem für autonomes Fahren schaffen. Partner wie Daimler oder Ford stellen Baidu Fahrdaten zur Verfügung, um dessen Algorithmen zu trainieren. Große Mengen wertvoller Daten, optimierte Algorithmen, herausragende Fachleute für Deep Learning sowie optimale politische Rahmenbedingungen – so sieht der Cocktail für herausragende, KI-basierte Produkte der Zukunft aus.

Kann man Google überhaupt noch einholen?

Viele Experten sehen einen großen technologischen Vorsprung für Googles Tochter Waymo, manche halten ihn schon für uneinholbar. Denn wenn für das autonome Fahren reicht es nicht, dem Markt eine gute Lösung anzubieten. Die Lösung muss „perfekt“ sein – immerhin sind Fahrer und Beifahrer sicher ans Ziel zu bringen und Passanten auf den Straßen zu schützen. Und wenn sich nur das Beste durchsetzen wird, stehen die Chancen für Waymo gut.

Welches Potenzial im autonomen Fahren steckt, zeigen der amerikanische Fahrdienstvermittler Uber und sein chinesischer Konkurrent Didi. Nach eigenen Angaben vermittelt Uber weltweit 15 Millionen Fahrten pro Tag. Und Didi verzeichnet die vierfache Anzahl allein in China. 75 Prozent der Einnahmen von Uber werden an die Fahrer ausgeschüttet. Streicht man diese Kosten aus der Kalkulation, indem man Robo-Taxis einsetzt, entfaltet sich die gewaltige, disruptive Wucht der neuen Technologie. Kein Wunder also, dass die aktuelle Bewertung von Uber kurz vor dem avisierten Börsengang auf 100 Milliarden US-Dollar taxiert wird.

Und das ist alles nur der Anfang. Welche gigantischen Chancen haben autonome Drohen, die Amazon-Pakete ausliefern oder allein in China täglich 20 Millionen Essensbestellungen zustellen könnten? Besitzer dieser Technologie winkt ein Milliardengeschäft, das laut Ansicht mancher Experten zu tektonischen Verschiebungen in der Weltwirtschaft führen kann.

Deutsche Topmanager unterschätzen die Entwicklung

In der Vergangenheit stellten deutsche Automobilhersteller und Zulieferer einen perfekten Verbund dar, gemeinsam lieferten sie unter anderem Hard- und Software für Sicherheitssysteme. Allein ABS und ESP haben in den vergangenen 40 Jahren das Autofahren deutlich sicherer gemacht und deutschen Marken viel Ansehen gebracht. Nun aber ist eine ganz andere Nuss zu knacken. Leider sieht es danach aus, als würden die Topmanager in den deutschen Konzernen die Bedeutung und die Komplexität dieses Themas unterschätzen.

US-amerikanische und chinesische Wettbewerber haben einen deutlichen Vorsprung und wirken nicht zuletzt auf Grund ihrer astronomischer Bewertungen und finanzieller Mittel übermächtig. Und sie werden zumeist nicht von angestellten Managern geführt, sondern von Unternehmern – Milliardären, die mit Talent, einer klaren Vision und unendlichem Biss die Wirtschaftswelt beherrschen wollen.

Fest steht: Die deutschen Konzerne, immer noch von traditionellen Strukturen geprägt, können da im Alleingang nicht mithalten. Es gilt die Kräfte zu bündeln, um eine schlagkräftige Konkurrenz für die USA und China aufzubauen. Konkurrenzdenken und Eitelkeiten müssen zurückgestellt werden, wenn es um die Erfindung des Automobils für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz geht. Bislang sieht man nur Stückwerk: Der Volkswagen-Konzern kooperiert mit dem Startup Aurora und scheitert bis jetzt daran, eine Beteiligung zu erwerben. BMW arbeitet unter anderem mit Intel, Daimler mit Baidu und Nvidia. Aber warum gibt es keinen gemeinsamen Weg? Warum betreiben deutsche Automobilhersteller nicht gemeinsam Forschung in Sachen Deep Learning und gehen Datenallianzen ein? Das Apollo-Projekt von Baidu ist genau das Kooperationsmodell, an dem man sich orientieren könnte.

Es wird allerhöchste Zeit, dass die Autohersteller den globalen Entwicklungen ins Auge sehen. Während man in Deutschland noch zaudert, werden in China die Städte der Zukunft geplant, die für autonome Fahrzeuge ausgelegt sind. Sind dann noch Ampeln oder öffentliche Parkplätze notwendig? Brauchen wir noch Ladestationen, wenn Fahrzeuge beim Fahren im Induktionsverfahren aufgeladen werden? Die gesamte Mobilität verändert sich grundlegend, was massive Konsequenzen für die Autoindustrie haben wird. Wenn die deutschen Konzerne nicht zu den Verlierern gehören wollen, sollten sie an einem Strang ziehen. Und dabei muss auch die Politik mit anfassen – immerhin steht hier nicht weniger als das Schicksal der deutschen Leitindustrie auf dem Spiel. Der Staat darf sich nicht nur von Bedenken leiten lassen, sondern muss für optimale Rahmenbedingungen sorgen. Der Zug ist noch nicht abgefahren, aber nicht mehr lange, dann schließen sich die Türen.